Ringen über Griechenland-Hilfe Merkel hofft auf eine „breite Mehrheit“
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Ringen über Griechenland-Hilfe Merkel hofft auf eine „breite Mehrheit“
von zazikilover am 06.05.2010 18:36Hektische Konsenssuche prägt den Tag in Berlin. Es geht um das Einvernehmen von vier der fünf Fraktionen über die Milliarden-Hilfen für die Hellenen. Doch wie der Bundestag an diesem Freitag abstimmen wird, und vor allem, ob die SPD-Fraktion dem Gesetz zustimmen wird, bleibt ungewiss.
06. Mai 2010
Am Ende eines von hektischen Konsensbemühungen geprägten Tages sollte das Einvernehmen von vier der fünf Bundestagsfraktionen hergestellt sein, dem Hilfspaket zugunsten Griechenlands zuzustimmen - so das Ziel der Verhandlungen am Donnerstag. Die Abgeordneten der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen sollten, so der Wunsch auch der Kanzlerin, an diesem Freitag mit großer Mehrheit dem Gesetzentwurf zustimmen, nach welchem der „Hellenischen Republik“ deutscherseits ein Kredit von insgesamt 22,4 Milliarden Euro zukommen kann - zunächst in Höhe von 8,4 Milliarden Euro, in den Folgejahren von dann weiteren bis zu 14 Milliarden Euro. Der Bundesrat wird folgen; der Bundespräsident unterschreibt. Dann wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum abendlichen Treffen der Staats- und Regierungschefs des Euro-Raumes nach Brüssel reisen, auf dem das gemeinsame „Unterstützungspaket“ für Griechenland verabschiedet werden soll.
Im wesentlichen wird es so kommen. Ob die SPD-Fraktion dem Gesetz zustimmen würde, war lange ungewiss. Erst am Abend entschied sie, sich zu enthalten. Mit großer Mehrheit beschloss die Unionsfraktion, der Griechenland-Hilfe zuzustimmen. Am Nachmittag waren Gespräche über eine gemeinsame Entschließung zu einer Finanzmarkt-Transaktionssteuer gescheitert. Mit Vorwürfen an die FDP verließ Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, die Verhandlungsrunde. Vorgaben der drei Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Guido Westerwelle (FDP) und Sigmar Gabriel (SPD) schienen Makulatur geworden zu sein. Frank-Walter Steinmeier kritisierte Union und FDP: „Die Begleitmusik während der Verhandlungen war nicht so, dass ausreichendes Vertrauen vorhanden war.“
Dass den ganzen Donnerstag über in Berlin weniger über den Inhalt des Gesetzes, sondern vor allem über Details eines Entschließungsantrages verhandelt wurde, lag nicht allein an der nordrhein-westfälischen Landtagswahl, vor der es sich für die Parteien geziemt, Profil, Unabhängigkeit und Stärke zu zeigen. Es lag auch daran, dass es den Parlamentariern nicht leicht fiel, abermals in aller Kürze Bürgschaften in Milliarden-Höhe zu akzeptieren. Es lag an den skeptischen Berichten, die sie aus ihren Wahlkreisen mit nach Berlin gebracht hatten. Und es lag an dem Willen Frau Merkels, das Gesetz solle mit möglichst großer Mehrheit verschiedet werden.
Schon den Koalitionsfraktionen war es nicht leicht gefallen, sich auf einen gemeinsamen Resolutionstext zu verständigen. Die Union hätte, wenigstens in ihrem CDU-Teil, nichts dagegen gehabt, wenn eine Finanztransaktionssteuer im Sinne eines Prüfauftrages in dem Papier enthalten gewesen wäre. Die FDP widersprach. Volker Kauder, der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende, sagte sogar früh morgens in der Fraktionssitzung: „Bei diesem Thema hat die FDP die Koalitionsfrage gestellt. Da können wir nichts machen. Dann müssen wir darauf verzichten.“ Hernach wurde darauf verwiesen, nicht der Bestand der Koalition sei in Frage gestellt worden. Kauder wie auch die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger hätten lediglich an den Umstand erinnert, dass Initiativen der Koalition nur im Einvernehmen zu beschließen seien. Einer Kompromissformel der Koalition wiederum widersprach die SPD-Führung. Schon am Vorabend hatte sie damit gedroht, sich bei Verabschiedung des Gesetzes der Stimme zu enthalten. Frau Merkel aber machte in der Sitzung ihrer Fraktion deutlich, an einer „breiten Mehrheit“ im Bundestag interessiert zu sein. Angesichts der enormen Krise müsse auch das Parlament Führungsfähigkeit beweisen, sagte sie. Zweifel waren in der Unions-Fraktion auszuräumen, und erst nach Klarstellungen im Gesetzentwurf wird auch Bundestagspräsident Lammert (CDU) dem Vorhaben zustimmen.
[b]So richtig wohl hatte sich die SPD am Mittwoch nicht gefühlt, als sich die Nachricht verbreitete, man werde sich wohl oder übel am Freitag im Bundestag enthalten müssen, weil die Union aufgrund der FDP bewegungsunfähig sei. Als sich am Morgen die Fraktion versammelte, war schnell Einigkeit erzielt. Ohne Entgegenkommen der Koalition beim Entschließungsantrag in der Frage der Finanzmarktreform werde man weder gegen noch für die Kredithilfe für Griechenland stimmen. Nur zwei Abgeordnete, darunter der in den eigenen Reihen übliche Verdächtige Hans-Ulrich Klose, äußerten sich abweichend. Dann sei die ersehnte SMS der Kanzlerin eingetroffen - oder war es am Ende sogar eine SMS Gabriels an die Kanzlerin, wie andere erzählten? Jedenfalls bot sich der SPD so der Ausweg aus der misslichen Lage, 48 Stunden vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen faktisch allein mit der Linkspartei gegen das Gesetz zu stimmen. Die schwarz-gelbe Koalition, die am Sonntag auch um ihre Bundesratsmehrheit bangt, hätte frohlockt.
Frau Merkel verließ die Unions-Fraktion und Gabriel die der SPD. Der SPD-Vorsitzende verhandelte zunächst allein mit Angela Merkel. Es kam auch der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle. Es wurde nach einer Formulierung für den Entschließungsantrag gesucht, die weder die von der SPD geforderte Transaktionssteuer enthält noch den von der Bundeskanzlerin gemachten Vorstoß, den IWF-Vorschlag einer „Financial Activity Tax“, einer Risikoabgabe auf Vergütungen und Gewinne. Es hieß, die FDP sei nur im Boot, wenn das Wort „Steuer“ nicht vorkomme - und leider sei die Partei inzwischen auch des Englischen mächtig.[/b]
Nun war Verklausulierungsgeschick gefragt: Handschriftlich brachte Gabriel zu Papier, die Bundesregierung müsse sich - auf der Basis der Vorschläge des IWF - für eine „europäische und internationale Beteiligung der Finanzmärkte“ an den Kosten der Krise einsetzen. In der Zwischenzeit gesellte sich auch Frank-Walter Steinmeier zu der Runde - die Sitzung der SPD-Fraktion war unterbrochen worden. Die handschriftliche Notiz war nunmehr Verhandlungsgrundlage. Später hieß es, die Koalition sei der SPD einen substantiellen Schritt entgegengekommen. Einigung in Sicht. Steinmeier verkündete: „Ein Tabu scheint gebrochen zu sein.“
Das wurde in der FDP anders gesehen. Mit Häme nahmen einzelne FDP-Abgeordnete zur Kenntnis, zu welch geringem Preis sich die SPD der Entschließung und dem Gesetz anschließen wolle, um zwei Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nur ja einem gemeinsamen Stimmverhalten mit der Linke-Fraktion zu entgehen. Von der SPD-Forderung nach einer Finanzmarkttransfersteuer sei, so hieß es, nur ein „Prüfauftrag“ für künftige Sitzungen internationaler Gremium übrig geblieben - „also nichts“ eigentlich. Als die SPD von dieser Darlegung erfuhr, machte Oppermann Schluss. Verwirrspiele setzten ein, wer wann was gesagt und wie er das gemeint habe.
Viele FDP-Abgeordnete hätten sich ein deutlich offensiveres Vorgehen der Bundesregierung gewünscht: Stärkere Konsequenzen aus dem Griechenland-Desaster, massivere Drohungen gegen künftige Vertragsverletzer, Austritts- oder gar Rauswurfoptionen. Zu den Entschiedeneren zählte in den letzten Tagen wohl selbst die Fraktionsvorsitzende Homburger. Doch es galt, den diplomatischen Vorgaben Westerwelles in seiner Funktion als Außenminister zu folgen. Drohgebärden, wie die Option eines Ausschlusses aus der Währungsunion, sollten vermieden werden, auch wenn das einige CDU-Abgeordnete wie Hans-Peter Willsch aus Hessen wollten. Es unterblieb.
Der FDP-interne Streit über die Frage, ob man einem europäischen IWF, also einem „Europäischen Währungsfonds“ (EWF) das Wort reden sollte, wie es etwa die europäischen Liberalen tun, aber wohl auch Wirtschaftsminister Brüderle, wurden durch Nicht-Erwähnung geregelt. Europapolitiker der FDP-Fraktion zeigten sich freilich auch über die Rolle der FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin verwundert. Die Vizepräsidentin des Europa-Parlamentes, wurde gelästert, sei nicht durch Sachkenntnis zur Griechenland-Finanzkrise aufgefallen. Sie gehe lieber in deutsche Talkshows.
Wie schwierig es für die FDP-Fraktion ist, ihrer Führung zu folgen, zeigt das Verhalten älterer und mithin unabhängigerer Abgeordneter. So gab es nicht nur zwei Nein-Stimmen zu der Gesetzesvorlage. Dem Vernehmen nach wollen die alten Vorleute der FDP, Solms und Gerhardt, dem Gesetz zwar zustimmen, aber ihre Skepsis in persönlichen Erklärungen darlegen. So will es auch der junge Europapolitiker Luksic halten.
Die Linkspartei schuf rasch Klarheit. Sie lehnte die Griechenland-Hilfe schon im Haushaltsausschuss des Bundestags ab und wird das auch im Bundestag tun. Freilich gaben sich ihre Vertreter Mühe mit dem Hinweis, grundsätzlich durchaus für eine „nachhaltige Unterstützung“ Griechenlands zu sein. Doch gab es einander widersprechende Impulse. Einerseits: Die Linkspartei weiß, dass es ihr bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nicht schaden wird, anders als alle anderen abzustimmen. Sie mag „Alleinstellungsmerkmale“, zumal wenn diese sich als im nationalen Interesse liegend deuten lassen. Andererseits: Als sture Neinsagerin mag die Linkspartei im Berliner Regierungsviertel auch nicht dastehen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Griechenland sei zu fragen: „Wer zahlt die Zeche?“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gesine Lötzsch in diesen Tagen.
Die Führung der Grünen wiederum hatte sich im Grundsatz schon am Mittwoch darauf festgelegt, der Unterstützung für Griechenland zuzustimmen, das Agieren der Koalition aber in einem eigenen Entschließungsantrag heftig zu kritisieren. Weitgehend geschlossen folgten am Donnerstag früh die Bundestagsabgeordneten der Grünen dieser Linie. Nur eine Handvoll Abgeordneter erwog noch eine Enthaltung. Taktisch gesehen waren die Grünen mithin in der Lage, unabhängig von der Koalition und deren möglichen Zugeständnissen zu agieren.
Doch wurde die Fraktionsführung hellhörig, als am Vormittag durchsickerte, dass die SPD in neuerliche Sondierungen mit der Koalition eingetreten sei. Dass Union und vor allem die FDP mehr als einem „windelweichen Prüfauftrag“ zustimmen würde, glaubten die Grünen nicht. Sie setzten lieber auf einen eigenen Antrag, dem zwar keine andere Fraktion folgen und den kaum jemand ganz lesen wird, in dem sie aber Sätze wie diesen unterbringen können: „Die Regierung Merkel hat durch ihre Haltung und durch ihr Nichthandeln Europa schweren Schaden zugefügt.“ Schwarz-grüne Signale sollten vor der Landtagswahl vermieden werden. Das Vorgehen in Berlin wurde mit den Parteifreunden in Düsseldorf abgestimmt. Ein Ja zu Europa, weil es um das große Ganze gehe, und gleichzeitige Kritik an der Regierung glauben sie ihren Anhängern vermitteln zu können.
quelle: http://www.faz.net/s/Rub3ADB8A210E754E748F42960CC7349BDF/Doc~EC1457034818744A4B70999E4F1C67D65~ATpl~Ecommon~Scontent.html