"Griechenland tut mehr als versprochen"
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"Griechenland tut mehr als versprochen"
von zazikilover am 29.08.2010 16:29Der Chef des Europäischen Rettungsfonds, Klaus Regling, über eine mögliche Rückkehr der Schuldenkrise und den Reformbedarf der Währungsunion
Von Das Gespräch führte Martin Greive
Urlaub kann Klaus Regling in diesem Sommer nicht machen. Er und seine bislang sechs Mitarbeiter haben alle Hände voll zu tun, den im Mai gegründeten europäischen Rettungsschirm EFSF in Luxemburg auf die Beine zu stellen. Aber Regling hofft auf eine ruhigere Zeit, wenn erst einmal die Anfangsarbeiten erledigt sind. Er ist überzeugt: Kein Eurostaat wird gezwungen sein, die EFSF zu nutzen.Welt am Sonntag: Herr Regling, Sie gelten als einer der Architekten des Stabilitätspaktes. Nun verantworten Sie als Chef der EFSF den institutionalisierten Vertragsbruch. Hätten Sie sich das jemals träumen lassen?
Klaus Regling: Die Gründung der EFSF ist weder ein Bruch der europäischen noch anderer Verträge. Das haben die Juristen der EU-Kommission sowie der Mitgliedstaaten der Währungsunion - auch die der Bundesregierung - festgestellt. Wäre dies anders, würde ich selbst ja Rechtsbruch begehen.
Welt am Sonntag: Man mag sich formaljuristisch aus einem Vertragsbruch herauswinden können. Aber gegen den Geist der Verträge verstößt die Gründung doch. Er lautet: Kein Land haftet für die Schulden eines anderen.
Regling: Das stimmt so nicht. Ich lese immer, der deutsche Steuerzahler zahle dafür, dass die Griechen so früh in Rente gehen können. Das ist barer Unsinn. Es geht darum - wie im Falle Griechenlands bereits geschehen -, im Notfall temporäre Liquiditätsprobleme eines Eurolandes zu mildern. Das liegt im Interesse der gesamten Währungsunion. So, wie die USA einem ihrer Bundesstaaten helfen würden, oder so, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) seit vielen Jahren Krisenländern hilft.
Welt am Sonntag: Fakt ist: Griechenland bekommt Hilfsgelder, und die Deutschen bürgen dafür. Und wenn die EFSF einem anderen Land helfen muss, bürgen die Deutschen für dieses Land.
Regling: Richtig. Allerdings: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bürgschaften herangezogen werden müssen, ist äußerst gering. Wenn wir einem Land für einen Zeitraum Liquiditätshilfen bereitstellen müssten, muss der Staat die Gelder zurückzahlen. Und die EFSF macht in diesem Fall Gewinn: Wir könnten im aktuellen Marktumfeld Geld für gut zwei Prozent Zinsen aufnehmen, das hilfsbedürftige Land müsste uns aber rund fünf Prozent Zinsen für die erhaltenen Kredite zahlen. Dieser Zinsaufschlag käme den Ländern zugute, die bürgen. Genauso verhält es sich im Fall Griechenland. Der deutsche Haushalt profitiert von der Rettung Griechenlands.
Welt am Sonntag: Sie haben Ihre eigene Firma für den neuen Job aufgegeben. Was hat Sie so an der Aufgabe gereizt?
Regling: Ich habe in meinem Leben viel Zeit damit verbracht, die Währungsunion vorzubereiten und dafür zu sorgen, dass sie funktioniert. Da lag es nahe, dort mit anzupacken, wo man die Märkte wieder beruhigen kann. Man muss als Lehre der Finanzkrise akzeptieren, dass die Währungsunion, die über viele Jahre sehr gut funktioniert hat, noch verbessert werden kann.
Welt am Sonntag: Also haben Sie vor allem aus Pflichtgefühl das Angebot angenommen?
Regling: Auch. Aber vor allem aus der tiefen Überzeugung, die Erfolgsgeschichte des Euro fortzuschreiben. Gerade für die deutschen Sparer hat der Euro viel zur Stabilität beigetragen. Und er hat der deutschen Wirtschaft geholfen. Stellen Sie sich vor, die Krise wäre ausgebrochen und jedes Euro-Mitglied hätte seine eigene Währung gehabt. Das hätte zu gewaltigen Koordinierungsproblemen geführt, ganz zu schweigen von den starken Wechselkursbewegungen, die das mit sich gebracht hätte - und unter denen gerade Deutschland zu Zeiten der D-Mark stark gelitten hat.
Welt am Sonntag: Wird Ihr Job stressig werden?
Regling: Die Idee ist, dass die EFSF nicht in die Situation kommt, einem Land beistehen zu müssen. Das ist realistisch. Die Märkte haben sich beruhigt, nicht nur weil Europa unter Einbindung der EFSF ein überzeugendes Hilfspaket geschnürt hat, sondern insbesondere auch, weil Länder wie Spanien und Portugal klare Beschlüsse gefasst haben, ihren Haushalt zu konsolidieren und ihre Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen.
Welt am Sonntag: Die Zinsen, die Griechenland am Markt zahlen muss, sind noch immer hoch. Irlands Kreditwürdigkeit wurde diese Woche herabgestuft. Das klingt nicht nach Beruhigung.
Regling: Ich finde, das Ergebnis der Stabilisierungsmaßnahmen spricht für sich: Der Kurs des Euro ist gestiegen. Auch sonst haben sich die Märkte beruhigt. Nur wenige spekulieren noch darauf, dass das Eurogebiet auseinanderbrechen könnte. Die Probleme der anderen Währungsräume, die teilweise deutlich höher verschuldet sind als die Eurozone, stehen inzwischen stärker im Fokus der Märkte.
Welt am Sonntag: Einige Experten warnen, im Herbst kehre die Krise zurück.
Regling: Solche Prognosen sind in einem Umfeld hoher Unsicherheit schwierig. Aber zuletzt gab es viele gute Nachrichten. Die Konjunktur hat sich erfreulich entwickelt. Alle Euroländer, auch Spanien, Portugal und Griechenland, hatten in den letzten Wochen kein Problem, an den Märkten Geld aufzunehmen. Außerdem nutzen internationale Banken wieder vermehrt spanische Anleihen als Sicherheit, um sich Liquidität zu besorgen. Das alles deutet auf Entspannung hin. Manch einer an den Märkten wird sich fragen müssen, ob die wilden Spekulationen vor einigen Monaten nicht übertrieben waren.
Welt am Sonntag: Das Wachstum in der Eurozone ist allerdings schwach, und weltweit kühlt sich die Konjunktur ab.
Regling: Wenn der Rest der Welt Probleme bekommt, können wir uns nicht abkoppeln. Aber wenn wir über eine Abschwächung Chinas reden, reden wir von acht statt elf Prozent Wachstum. In den USA sehe ich trotz der Stabilisierung der Wirtschaft anhaltende Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Insofern bleibt hinter der Erholung dort ein Fragezeichen.
Welt am Sonntag: Wird der Aufschwung in Deutschland so weitergehen?
Regling: Sicher nicht mit dieser Stärke. Nach dem tiefen Einbruch mussten wir viel aufholen. Wenn dieser Prozess beendet ist, werden wir mittelfristig wieder auf Potenzialwachstum zurückfallen, das bei knapp über ein Prozent liegt.
Welt am Sonntag: Wie kann Deutschland sein Wachstum steigern?
Regling: Nicht, indem man über hohe Lohnerhöhungen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft künstlich reduziert. Wir brauchen Strukturreformen. Wir müssen über eine höhere Frauenerwerbstätigkeit reden, über Migrationspolitik, eine Flexibilisierung des Dienstleistungssektors. Und darüber, wie es uns gelingt, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Da war die Rente mit 67 eine wichtige Entscheidung.
Welt am Sonntag: Es gibt Befürchtungen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) Rücksicht auf die Krisenstaaten nehmen muss und die Zinsen niedrig halten wird - obwohl Deutschland stark wächst. Teilen Sie diese Sorgen?
Regling: Die EZB wird immer nur auf den Durchschnitt des Eurogebiets schauen und sich an ihrem Ziel der Preisstabilität orientieren. Das war auch zu Beginn der Währungsunion so, als Deutschland schwach war und andere Länder stärker wuchsen. Wer das infrage stellt, hat nicht verstanden, wie eine Währungsunion funktioniert.
Welt am Sonntag: Griechenland steckt nach wie vor in einer Rezession. Kann das Land seinen harten Sparkurs durchhalten?
Regling: Das kann es. Der Reformkurs ist hart, aber unumgänglich. Bemerkenswert ist, dass die Regierung sich auf eine breite Mehrheit in der Bevölkerung stützen kann. Das konnte man nicht unbedingt erwarten. Griechenland hat im vergangenen halben Jahr mehr getan als zugesagt.
Welt am Sonntag: Ist die Bereitschaft zu mehr Ausgabendisziplin in Europa jetzt wirklich vorhanden? Sie haben 2003, als Sie als Mitarbeiter der EU-Kommission Deutschland ein Defizitverfahren anhängen wollten, miterlebt, wie der Stabilitätspakt aufgeweicht wurde.
Regling: 2003 war kein Ruhmesblatt der europäischen Zusammenarbeit. Jetzt aber sind wir in einer anderen Situation. Die Staaten haben aus der Krise gelernt. Es gibt eine Reihe von Initiativen, die nicht mehr sehr umstritten sind und die umgesetzt werden sollten.
Welt am Sonntag: Was sind die entscheidenden?
Regling: Wir brauchen eine Verschärfung des Stabilitätspakts, eine umfassendere Überwachung der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes, eine effizientere Finanzmarktaufsicht, eine einheitliche Vertretung des Euro nach außen, etwa im IWF oder bei den G-20-Treffen, und letztlich einen Mechanismus, der Mitgliedstaaten in Not hilft.
Welt am Sonntag: Also einen Europäischen Währungsfonds, angelehnt an den IWF?
Regling: Dieser Begriff weckt hohe Erwartungen und klingt zu bürokratisch. Es ist auch nicht notwendig, so etwas Großes zu schaffen.
Welt am Sonntag: Dann könnte man ja die EFSF zu einer Dauereinrichtung machen.
Regling: Die Arbeitsgruppe unter Führung von EU-Präsident Herman Van Rompuy diskutiert verschiedene Optionen, wie ein Mechanismus zur Krisenbewältigung aussehen könnte. Die vertragliche Vereinbarung für die EFSF ist eindeutig: Sie wird nach drei Jahren aufgelöst, sollte kein Land Hilfsgelder benötigen. Ansonsten existiert die EFSF so lange, bis die letzten Schulden zurückgezahlt sind.
Welt am Sonntag: Braucht die Eurozone ein Insolvenzverfahren für Mitgliedstaaten?
Regling: Auch diese Frage wird in der Van-Rompuy-Gruppe diskutiert. Derzeit gibt es zwar keine akute Notwendigkeit für ein Insolvenzverfahren, da die angeschlagenen Länder alles dafür tun, um wettbewerbsfähiger zu werden. Langfristig kann es aber sinnvoll sein, über eine solche Option nachzudenken.
Quelle: http://www.welt.de/die-welt/wirtschaft/article9263702/Griechenland-tut-mehr-als-versprochen.html