Ikaria - Insel der Kommunisten

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zazikilover
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Ikaria - Insel der Kommunisten

von zazikilover am 11.08.2010 02:26

Die griechische Insel Ikaria ist recht speziell. In den 40er Jahren wurden tausende Kommunisten hierhin ins Exil verbannt. Heute ist die Insel eine der letzten Kommunisten-Bastionen in Europa.


Auf Ikaria herrscht keine Eile. Der einzige Bus, der an diesem Tag die beiden größten Städte Agios Kyrikos und Evdilos verbindet, hat bereits 25 Minuten Verspätung. Als es um kurz vor eins los geht, schlurft Stiven Karapitos über die Hafenpromenade und bedeutet dem Busfahrer mit einem Winken, doch bitte zu warten. Er leert noch rasch seine Bierflasche, packt den gerade gekauften Fisch in seinen Umhängebeutel und steigt dann ein.
Der Mann mit den zotteligen grauen Haaren, einem dicken Schnauzbart im unrasierten Gesicht und einem Cowboyhut auf dem Kopf hat schon mittags eine beträchtliche Fahne. Angesprochen auf die besondere Geschichte der griechischen Insel in der Ägis, ruft der 74-Jährige: "Wir sind alle Kommunisten hier." Er sieht sich angesichts der Schuldenkrise nicht nur in Griechenland im Recht: "Jeder sieht doch gerade, wie der Kapitalismus auch den Euro zugrunde richtet." Der Bus fährt vorbei an der örtlichen Zentrale der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), die blauen Fensterläden sind verschlossen, die roten Fahnen mit den Lettern KKE und Hammer und Sichel wogen träge im schwülen Sommerwind hin und her.

10.000 Kommunisten deportiert
Bevor Stiven Karapitos in einem kleinen Dorf aussteigt, berichtet er, wie Ende der 40er Jahre tausende Kommunisten nach der Niederlage im griechischen Bürgerkrieg nach Ikaria verbannt wurden, zwischen 10.000 und 15 .000 sollen es gewesen sein. Nach dem Abzug der deutschen Besatzungsmacht 1944 und wechselnden Regierungen verlor die linke Volksfront in den Kämpfen von 1946 bis 1949 gegen Konservative und Monarchisten, 1947 wurde die KKE verboten. Viele kommunistische Exilanten wurden von den Bewohnern Ikarias in ihre Häuser aufgenommen und infiltrierten diese mit ihrer Ideologie.Während der Bus sich die Gebirgsstraße hochschlängelt, vorbei an der gelben Blütenpracht der Sparta-Pflanze, erzählt Karapitos so manche Räuberpistole, aber er sagt auch: "Die Kommunisten passten irgendwie hierher." Viele blieben hier - erstaunlicherweise überdauerte auch ihre Ideologie. Als kleine Insel mit 9000 Einwohnern, die administrativ der Nachbarinsel Samos untersteht, lässt sich zwar nur sehr begrenzt eine originär kommunistische Politik realisieren - aber das Lebensgefühl ist es, wo diese Prägung zum Vorschein kommt.

Mikis Theodorakis war auch auf Ikaria
Der berühmte Komponist und Schriftsteller Mikis Theodorakis, der die Filmmusik zur Verfilmung des Romans "Alexis Zorbas" komponierte, berichtet über sein Exil auf Ikaria, das 1947 begann: «Wenn ich an Ikaria denke, durchströmt mich warmes Licht. Es ist die Schönheit dieser Insel in Kombination mit der Herzlichkeit der Menschen, sie öffneten ihre Häuser und ihre Herzen für uns." Immer wieder werden derart romantische Töne angestimmt, es wird berichtet, wie die Kommunisten Schulen auf der von Athen fast vergessenen Insel mit aufbauten.

Es gab damals nach Ende des Zweiten Weltkriegs und des sich anschließenden rund dreijährigen Bürgerkriegs keine Straßen und es fehlte jegliche Infrastruktur. Für die Kommunisten war es nach der Niederlage der Volksfront und der Flucht zahlreicher KKE-Funktionäre nach Moskau nicht die schlimmste Strafe. "Die kühle Seeluft berauschte mich, hellte meine Stimmung auf und machte mich unerklärlich glücklich", resümiert Theodorakis. "Was für ein wunderbarer Platz, was für wunderbare Menschen. Sie halfen mir zu vergessen, dass ich hier im Exil bin."

KKE 1974 legalisiert
Nach dem Fall der Militärjunta 1974 wurde die KKE legalisiert - auf Ikaria wurde sie im Laufe der Jahre zur stärksten Macht. Ikaria firmiert deswegen auch als rote Insel. Bei Wahlen gewinnt die Partei zwischen 30 und 40 Prozent, seit kurzem stellt sie auch alle drei Bürgermeister der Insel, die gut zweimal so groß ist wie Sylt. "Wenn Kuba irgendwann mal fällt, sind wir wohl die letzte kommunistische Insel", sagt Dimitra Kambouris, die zusammen mit ihrem Mann Vasili eine kleine Pension betreibt.

Von ihrer Terrasse, die gesäumt ist von blauen Tonkrügen und wo die vom Sturm zerzauste griechische Fahne im Wind flattert, hat sie einen Blick auf den feinen Strand und das tiefblaue Mittelmeer. Scheppernde Durchsagen dringen herüber, ein Lautsprecherwagen windet sich oberhalb des Hauses die Küsten-Serpentinen herunter und verkündet, dass die KKE am nächsten Abend eine Kundgebung abhalten wird, um gegen Israels Gaza-Politik zu demonstrieren.

Trauer bei Anbindung an die Welt
Vasili Kambouris berichtet derweil, wie Anfang der 90er Jahre die Kommunisten zur Eröffnung des kleinen Flughafens mit schwarzen Fahnen am Rollfeld Trauer trugen - zu viel Anbindung an die Welt jenseits von Ikaria ist bei einigen Bewohnern scheinbar unerwünscht. "Die Kommunisten wollen hier gar nicht zu viel Tourismus", sagt Vasili Kambouris. "Hier wird viel wert auf die Gemeinschaft gelegt, die Insel war stets arm, das förderte das gegenseitige Teilen." In der Tat: Die Menschen sind überaus freundlich, jegliches Geldstreben ist den meisten fremd.

Gäste wohnen meist in kleinen Pensionen und können gerade in der Nebensaison das seltene Gefühl erleben, weiße Strände in Steinbuchten für sich allein zu haben. Das Wasser ist türkis, nicht zu Unrecht heißt ein Strand "Seychellen-Strand". Die Zahl der Touristen ist hier mit einigen tausend überschaubar - vielen reizt aber gerade dieser spezielle Weg Ikarias. Die Nachbarinsel Samos hingegen lockt jedes Jahr hunderttausende Urlauber an, sie verfügt über eine ausgereifte All-Inklusive- Struktur. "Die wissen, wie man Geld verdient", sagt Kambouris.

Wer nach Ikaria will muss über Samos
Die Prozentzahlen für die KKE bei Wahlen bewegen sich auf Samos im niedrigen einstelligen Bereich. Jüngst verhinderte Ikarias KKE, dass eine Firma Wasserflugzeug-Verbindungen nach Ikaria aufbaut. Gäste aus dem Ausland fliegen in der Regel nach Samos und müssen dann zweieinhalb Stunden mit der Fähre nach Ikaria fahren - auf der Insel selbst landen meist nur Flugzeuge aus Athen oder Thessaloniki. Über ihr Wirken sprechen wollen die wenigsten Funktionäre und verweisen für Informationen an die KKE-Zentrale in Athen, aber unter der Hand ist Kritik zu hören, dass sie sich Zugang zu Privilegien verschaffen. "Die größten Kommunisten haben die größten Häuser hier - es eine bizarre Form des Kommunismus", sagt eine Bewohnerin.

Es geht um die Bewahrung des Lebensgefühls
Durch die administrative Abhängigkeit von Samos sind die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der KKE begrenzt, es geht vor allem auch um die Bewahrung eines Lebensgefühls von Solidarität und Miteinander, durch die Isolation von Athen traf die kommunistische Ideologie bei den Bewohnern auf einen guten Nährboden. Da stört eine zu große Öffnung nach außen - die Infrastruktur ist dementsprechend: Kaum Busse verkehren, viele Straßen sind Holperpisten. In den kleinen Fischerdörfern sitzen ein paar Einheimische in den Bars, den Blick meist aufs Meer gerichtet.

Ist mal das Benzin im Tank des Mopeds leer, sind sich die Fischer auch nicht zu schade, mit einem Schlauch Benzin aus dem eigenen Motorrad abzuzapfen und in den Tank des fremden Gastes umzuleiten. Geld lehnen sie entrüstet ab und bestellen stattdessen dem Gast ein Bier. Entlang der staubigen Schotterpisten sind großartige Blicke auf die felsige Küste zu erhaschen, per Hupen müssen die zahllosen Ziegen verscheucht werden. Den Weg säumen immer wieder Lastwagen- und Autowracks, die anscheinend schon seit Jahren dort vor sich hinrosten. Und allgegenwärtig sind die Graffiti der KKE mit Slogans wie "Raus aus der NATO" oder Konterfeis von Che Guevara.

Sie kämpfen gegen das System
In der Inselhauptstadt Agios Kyrikos sitzt Zacharias Glarios vor seinem Kiosk. Er ist das, was man einen eingefleischten Kommunisten nennt, und er kennt die Geschichte hier gut. "Sieben Leute von uns haben schon im Spanischen Bürgerkrieg (1936-39) mitgekämpft." Er sei Mitglied der KKE, "weil sie die einzigen sind, die gegen das System kämpfen". Die Einführung des Euro sei ein Fehler gewesen, das sehe man ja jetzt, wo Griechenland vor der Pleite stehe. Erst vor kurzem war Glarios wieder in Athen, um gegen die radikalen Sparpläne der Regierung zu demonstrieren. "Es geht doch vor allem gegen die kleinen Leute", sagt Glarios und schlürft seinen Kaffee aus, reichlich schwarzer Satz klebt am Tassenboden.

"Die KKE war die einzige Partei, die das Finanzdebakel vorausgesagt hat." Auch wenn Ikaria anders ist als die vom Tourismus lebenden Inseln drum herum, so spürt man auch hier die Krise. Die Touristenzahl ist um bis zu 20 Prozent eingebrochen. Marsha Kritikos betreibt 100 Meter von Glarios' Kiosk entfernt das Hotel Akti mit Blick auf den Hafen der Insel, die nach Ikarus benannt ist. Er soll bei der legendären Flucht aus dem Gefängnis von König Minos mit seinen Wachsflügeln zu nah an die Sonne herangeflogen und vor Ikaria abgestürzt sein.

In der Krise liegt eine Chance
In der Krise kann auch eine Chance liegen, gibt sich Marsha Kritikos optimistisch. «Gerade Deutsche, die hier vorbeikommen, betonen die Solidarität mit uns. Vielleicht kann die Situation zu einem stärkeren Zusammenhalt in Europa führen.» Zusammenhalt, das ist was immer wieder erzählt wird, wenn es darum geht, warum die KKE hier so stark ist. Besuch in Droutsoulas, einem kleinen pittoresken Dorf hoch oben auf einem Berg mit Blick auf die hunderte Meter darunter liegende Küste: Hunderte Menschen sitzen bei einem Dorffest an langen Tafeln rund um die Kirche, hunderte gegrillte Ziegen werden verspeist, Arm in Arm wird der Syrtaki getanzt.

Jeder kennt jeden, Fremde werden in die Tanzschar eingereiht, die Krise ist weit weg, durch die eigene Landwirtschaft lebt man hier immer noch recht autark. Am nächsten Tag findet in der zweitgrößten Stadt Evdilos die per Lautsprecherwagen angekündigte Demo gegen Israels Blockade des Gazastreifens statt, es sind vor allem alte Inselbewohner, die sich im Halbkreis um ein Mikrofon versammelt haben. Lateinamerikanische Revolutionslieder, etwa vom "Comandante Che Guevara", tönen aus den altersschwachen Boxen, in ihren Reden wettern zwei Aktivistinnen gegen die Unterdrückung der Menschen in Gaza.

Neben dem Platz warten Hühner in einem Kastenwagen in übereinandergestapelten Käfigen auf Käufer. Die KKE-Veranstaltung und viele Aussagen lassen den Schluss zu, dass die kommunistische Prägung mehr der Tradition geschuldet ist als dass sie heute aktiv politisch gelebt wird. Nach den Referaten gibt es müden Applaus, die Lautsprecher werden abgebaut, die Leute gehen zurück in die Cafés an der Hafenpromenade und diskutieren bei einem Glas ikarischen Wein. Schließlich gilt die Insel nicht nur als Ursprung der Ikarus-Sage und als Hort der Kommunisten. Sie soll auch Geburtsort von Dionysos sein, dem Gott des Weines.

Quelle: http://www.n24.de/news/newsitem_6254887.html

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